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Kinder fördern - Zukunft stiften

Gabriele Viertel

Zur Geschichte der Stiftung „Johanneum“ in Chemnitz

Am 26. August 1855, anlässlich eines Aufenthaltes des sächsischen Königs Johann in Chemnitz, übergab der Chemnitzer Privatmann Carl Christian Hübner überraschend eine große Summe von 30 000 Talern dem Bürgermeister. Er bestimmte in der am gleichen Tage ausgefertigten Urkunde den Verwendungszweck des Geldes. Es heißt darin, dass er in seinem Testament für die Gründung eines Erziehungshauses nach Art des Rauhen Hauses in Hamburg Sorge getragen habe. Durch eine angemessene Erziehung armer und verwahrloster Kinder solle „manchem Übel der Gegenwart nach und nach doch wohl einigermaßen abgeholfen und für die Zukunft vorgebeugt werden“. Die Verwaltung der Anstalt über trug Hübner einem Verwaltungsrat, dem der Bürgermeister der Stadt Chemnitz vorstand. Dem ursprünglichen Betrag legten die Stadtverwaltung und die Freimaurerloge noch weitere 1300 Taler zu. Auf Wunsch Carl Christian Hübners und nach erfolgter königlicher Bestätigung erhielt die Stiftung den Namen des Königs. Vorzugsweise sollten Kinder Aufnahme finden, die entweder selbst oder deren Eltern in Chemnitz heimatangehörig waren. Bei vorhandenem Platz bestand allerdings auch die Möglichkeit, auswärtige Kinder gegen angemessene Entschädigung aufzunehmen. Die Kinder mussten in der Regel das fünfte Lebensjahr erreicht haben. Sie blieben bis zur erfolgten Konfirmation in der Anstalt. Die zu entlassenen Kinder konnten auf Kosten des Johanneums ein Handwerk erlernen bzw. in einen Dienst gehen. Der Stifter legte großen Wert auf eine dem Familienleben angeglichene innere Einteilung des Hauses; es konnten auch Kinder in fremden Familien untergebracht und finanziell unterstützt werden. Er ordnete an, dass die Stiftung für weitere Gaben offen zu sein habe, die dem Statut im ausgewiesenen Zweck verpflichtet wären. In der ersten Sitzung am 15.10.1855 beschloss der Verwaltungsrat zur Ausführung des Planes den Ankauf des Hüttenberges für 5000 Taler, der sich im Besitz des Chemnitzer Bürgers Deubner befand. Auch das angrenzende Feld des Bauern Günter wurde für 4050 Taler erworben. Damit hatte man das Grundstück hinter dem Eisenbahngelände, oberhalb des Grabens für das Johanneum gekauft.

Der Grundstein für das erste Haus der Anstalt, ein Familienhaus, wurde bereits am 22. April 1856 gelegt, die Einweihung konnte am 26. August des gleichen Jahres erfolgen. Mit zehn männlichen Zöglingen wurde mit der Erziehungsaufgabe begonnen. Ein Lehrer sowie der ökonomische Verwalter des Grundstückes wohnten ebenfalls dort. Hinzu kamen auch die erforderlichen Wirtschafts- und Stallräume. Nachdem der Stifter zwischenzeitlich nochmals eine beträchtliche Summe übereignet hatte, richtete man auch ein Mädchenhaus ein. Der Stiftung flossen außerdem weitere beachtliche Geldbeträge zu.

Im „Verwaltungsbericht der Stadt Chemnitz auf das Jahr 1880“ findet sich folgender Eintrag: „Der Stifter, welcher am 12. Januar 1880 verstorben ist, hat in seinem unter dem 15. Februar 1877 errichteten und am 9. Februar 1880 eröffneten Testamtente das Johanneum als Haupterbin seines Nachlasses eingesetzt. Die hierauf der Anstalt zugeflossene Erbschaft im Betrage von 454 885 Mark und der vom Stifter bereits bei seinen Lebzeiten gewährte Betrag von 52 500 Talern...“ bildeten das unantastbare Stammvermögen der Anstalt. „Dasselbe wurde 1880 auf 530 000,- Mark festgesetzt.“ Der Statutennachtrag enthielt die Regelung, dass das Stammvermögen niemals angegriffen werden dürfe. Lediglich seien die Zinsen zum Besten der Anstalt zu verwenden.

Vorsitzender des Verwaltungsrates war ab 1855 der Bürgermeister Johann Friedrich Müller. Er begründete 1857 mit der Herausgabe eines ebenfalls dem König Johann gewidmeten Johannes- Albums einen Kapellenbaufonds für das Johanneum. Nach diesem Plan sollte auf dem höchsten Punkt des Johanneum-Grundstückes, fortan „Kapellenberg" genannt, zur seelischen Erbauung eine Kapelle errichtet werden. Es kam nie zu einer Realisierung dieses Vorhabens. Bis zum Beginn des Ersten Weltkrieges betrug der Kapellenbaufonds ca. 30 000 Mark. Durch die Inflation verlor das Johanneum sein Vermögen, einschließlich des Kapellenbaufonds. Aber man bezeichnete den Teil des Berges weiterhin nach einer Kapelle, die nie errichtet wurde.

Bis 1913 ist das Johanneum in der Lage gewesen, sich aus eigenen Mitteln zu erhalten. Der Krieg und seine Folgen hatten es in ähnliche Notlage gebracht wie vergleichbare Anstalten. Aus Mitteln der Kriegsfürsorge wurden Zuschüsse bewilligt und diese schließlich auf den regulären Haushalt der Stadt übertragen. Noch im Haushaltjahr 1921 erhielt das Johanneum städtische Beihilfe. Zu diesem Zeitpunkt waren in der Anstalt 65 Zöglinge untergebracht, deren Erziehung in den Händen eines vorgebildeten Hauselternehepaar es lag und neben dem auch das nötige Haus- und Hilfspersonal wirkte. Der Verwaltungsrat fasste nach der Inflation 1924 den Beschluss, die Grundstücke der Stiftung, die in der Stadt lagen, für den Wohnungsbau aufzuschließen und zu veräußern. Vom Erlös sollte ein neues Grundstück erworben und ein neues Anstaltsgebäude errichtet werden. Ein passendes Grundstück fand sich in einem vom Kommerzienrat Krautheim angebotenen in Harthau gelegenen Gelände. Die Stiftungs-Oberaufsichtsbehörde bestätigte den Plan und genehmigte unter Ausnahme von den Satzungsbestimmungen den Verkauf des alten Johanneumsgeländes und seine Verwertung durch eine zu diesem Zweck gegründete Grundstückgesellschaft. Das alte Grundstück auf dem Kapellenberg wurde allerdings nicht vollständig veräußert. Es bestand die Absicht, den möglichen Ertrag für den alten Stiftungszweck zu verwenden, die Kinder unentgeltlich oder gegen Zahlung eines nur geringen Verpflegungsbeitrages aufzunehmen. 1925 veröffentlichten die „Chemnitzer Neuesten Nachrichten" den Plan zur Aufteilung und Bebauung des ehemaligen Grundstücks am Kapellenberg. An diesem attraktiven Standort entstanden in der Folgezeit Villen.

1925/26 wurde das neue Gebäude des Johanneums in Harthau, Annaberger Straße, errichtet und im August 1926 eingeweiht. Die Kosten des Neubaus und des Grundstückserwerbs konnten aus dem Erlös des alten Geländes bestritten werden. Im Zuge der Neuerung wurde angeordnet, dass einzelne Heime nur mit bestimmten Altersgruppen zu belegen wären. In das Johanneum wurden nun hauptsächlich nur noch Schulentlassene und schulpflichtige Kinder im Alter von 10 bis 14 Jahren aufgenommen.

Ab 1933 erhielt das „Johanneum“ den 9800 m2 großen Harthauer Sportplatz mit Unterkunfts- und Geräteraum, der bis zu diesem Zeitpunkt dem Sportve rein „Frei Heil“ in Harthau gehörte. 1939 bezeichnete man die Einrichtung als „Burschen- und Erziehungsheim Johanneum“, offensichtlich nahm man nur noch männliche Zöglinge auf. Eine Satz ungsänderung 1942 sah schließlich die Erziehung deutscher Kinder beiderlei Geschlechts im Sinne des Nationalsozialismus vor.

Nach den Wirren des Krieges, Bombenangriffen, Einquartierungen von Flüchtlingen und von sowjetischen Truppen erfolgte in den fünfziger Jahren die Verstaatlichung. Am 8. Dezember 1950 fand eine Besprechung beim Ministerium der Finanzen des Landes Sachsen statt, von der verlautbarte, dass „die Liquidierung der Stiftungen in die Zuständigkeit der Gemeinden und Kreise unter Beachtung der gesetzlichen Bestimmungen“ falle. Das Johanneum, das nun den Namen „Geschwister-Scholl-Heim“ trug, gehörte zu einer Sammelstiftung. Das Heim in Harthau und zwei weitere Stiftungen wurden den zuständigen Dezernenten übergeben und aus den laufenden Haushaltmitteln unterhalten. 1964 erhielt die Einrichtung, als sogenanntes „Spezialkinderheim für schwererziehbare Kinder“, eine eigene Schule. Sie war nun dem Rat des Bezirkes unterstellt. 1989 wurden umfangreiche Bauinvestitionen in Höhe von 500.000 Mark bewilligt, zu deren Realisierung es aber nicht mehr kam.
Nach der Wiedervereinigung der Stadt zugesprochen, ist das Gebäude in Harthau 1998 verkauft worden, um aus dem Erlös die Kinder- und Jugendstiftung „Johanneum“ zu gründen. Seit 2000 erinnert der zum ehemaligen Heim führende Hübnerweg an den Stifter Carl Christian Hübner.

Bis zum Jahr 1933 ist der Text einem Beitrag der Autorin für die 1999 vom Verlag Heimatland Sachsen herausgegebene Stadtteilgeschichte „Vom Klosterdorf zur Industrievorstadt“ , S. 111 - 118, entnommen ("Der Hütten- oder Kapellenberg und das Chemnitzer Johanneum").